Parkinson beeinträchtigt die Motorik, die Psyche, die Gefühlswelt – und damit auch die Sexualität eines Paares. Ein Problem, das lösbar ist – sofern es offen angegangen wird.
"Sex ist schön – wenn man jung und gesund ist. Parkinsonbetroffene aber sind alt und krank – und Alte und Kranke haben kein Interesse an Sex. Also haben Parkinsonbetroffene kein Problem mit ihrer Sexualität!" Diese Meinung ist absolut falsch! Erstens sind die meisten Parkinsonbetroffenen weit von jenem Alter entfernt, in dem die Lust am Sex gänzlich schwindet. Zweitens sind sie zwar krank – aber ihre Gefühle, ihre Emotionen und die Lust auf Sex bleiben davon meist unberührt. Drittens ist die Mehrzahl der Betroffenen körperlich durchaus in der Lage, trotz aller Probleme, die Parkinson beschert, erfüllenden Sex zu haben. Dennoch gelingt genau dies den wenigsten. Laut diversen Studien sind Parkinsonbetroffene beiderlei Geschlechts überdurchschnittlich häufig mit ihrem Sexualleben unzufrieden. So klagen an Parkinson erkrankte Männer vor allem über Erektionsstörungen, vorzeitige Ejakulation und Schwierigkeiten beim Erreichen eines Orgasmus. Parkinsonbetroffene Frauen indes leiden unter verringerter Erregbarkeit, Trockenheit der Scheide und dadurch verursachte Orgasmusschwierigkeiten. Kein Wunder also, dass das Verlangen der Betroffenen mit Fortschreiten ihrer Erkrankung stetig sinkt. Genau hier orten Sexualtherapeuten und Psychologen das Kernproblem: Das sexuelle Verlangen sinkt nicht, weil die Lust auf Sex aufgrund des Alters oder der Parkinsonerkrankung einfach ausbleibt. Das Verlangen schwindet, weil die sexuelle Funktion gestört ist, was wiederholte Enttäuschung und Frustration provoziert und psychischen Stress auslöst, der die Lust torpediert. Die normale Sexualfunktion und mögliche Störungen Der Geschlechtsakt besteht aus der Erregungs- und der Orgasmusphase. Während der Erregungsphase füllen sich die Geschlechtsorgane mit Blut und schwellen an – beim Mann erkennbar an der Erektion. Die Frau produziert überdies Geschlechtsflüssigkeit, ihre Scheide wird feucht. Ist diese Erregungsphase gestört, bleibt der Penis des Mannes schlaff oder die Erektion ebbt ab, noch ehe ein Orgasmus erreicht wurde. Bei der Frau führt eine Erregungsstörung zu mangelnder Lubrikation der Scheide, das Eindringen des Mannes verursacht Schmerzen. Manche Frauen verspüren auch eine unwillkürliche Kontraktion der Vaginalmuskeln, sobald der Mann versucht, einzudringen. Dieser «Vaginismus» kann so stark sein, dass ein Eindringen unmöglich wird. Die häufigste Störung der Orgasmusphase beim Mann ist die vorzeitige Ejakulation. In seltenen Fällen kommt es aber auch zur verzögerten oder ganz ausbleibenden Ejakulation. Bei Frauen bleibt, sobald die Erregungsphase gestört ist, in aller Regel auch der Orgasmus aus. Andere Frauen verspüren zwar eine ausreichende Erregung, kommen aber trotz adäquater Stimulation nicht zum Orgasmus. Dann spricht man von Anorgasmie. Beide Phasen der sexuellen Funktion – Erregung und Orgasmus – hängen stark von der Funktion des autonomen Nervensystems ab. Dieses kann durch Alkohol, Medikamente sowie gewisse Erkrankungen gestört sein. Wesentlich häufiger aber sind psychische Belastungen (Angst, Sorgen, Ekel) die Ursache sexueller Probleme – auch bei an und für sich kerngesunden Menschen. Ein Beispiel: Hat ein Mann viel Stress in der Arbeit, kann er zeitweise impotent werden. Verschwindet der Stress, kommt die Potenz wieder zurück. Es sei denn, der Mann macht sich so grosse Sorgen wegen seines zeitweiligen «Versagens», dass er jedesmal, wenn er Sex haben will, so gestresst wird, dass die Impotenz wiederkehrt. Ähnlich kann eine Frau wegen finanzieller Sorgen eine Erregungsstörung haben, was zu Schmerzen beim Sex führt. Später kann allein die Furcht vor diesen Schmerzen die Erregung hemmen – was zu neuen Schmerzen führt, noch mehr Angst auslöst und schliesslich einen Vaginismus heraufbeschwören kann. Besonders tragisch: solche Störungen können auf den anderen Partner übertragen werden. Etwa, weil eine Frau, deren Partner an vorzeitiger Ejakulation leidet, Angst bekommt, sie erreiche ihren eigenen Orgasmus nicht rasch genug. Sie wird dann Erregungsschwierigkeiten bekommen, die wiederum den Mann zusätzlich belasten – bis beiden die Lust am Sex (das Verlangen!) komplett abhanden kommt.
Die Sexualfunktion bei Parkinson
Zunächst muss festgehalten werden, dass die Parkinsonkrankheit nicht zwangsläufig mit dem Auftreten sexueller Probleme gleichzusetzen ist. Es gibt viele betroffene Paare, bei denen der Sex wunderbar funktioniert. Es gibt aber leider auch viele Paare, die Probleme haben. Die Gründe dafür sind komplex und vielschichtig. Die motorischen Symptome (Rigor, Tremor, Unbeweglichkeit) behindern die sexuelle Aktivität, Antriebslosigkeit und Fluktuationen hemmen die Spontanität. Hinzu kommen alters-, krankheits- oder auch medikamentenbedingte Erektionsprobleme der Männer respektive die Trockenheit der Scheide bei Frauen. Verändertes Aussehen, Speichelfluss, starkes Schwitzen oder Inkontinenz verringern die körperliche Attraktivität der Betroffenen, das typische «Maskengesicht» täuscht mangelndes Gefühl und fehlende Lust vor. Sprachstörungen behindern die Kommunikation, depressive Verstimmungen dämpfen das Verlangen. Oft unterschätzt wird zudem das veränderte Rollenverhältnis der Partner. Der einst punkto Sexualität aktivere Partner wird immer passiver – die Sexualität schläft ein. Umgekehrt kann auch übertriebene Schonung des Patienten zum Erliegen der Sexualität führen. Und welche Person schafft es schon, tagsüber die Rolle des Pflegenden auszuüben und nachts die Rolle der Liebhaberin/des Liebhabers zu spielen? Nicht zuletzt können falsche Ängste (etwa, Sex könne die Krankheit verschlimmern), übertriebene Erwartungen oder andere, starke Gefühle bis hin zum Ekel vor dem körperlich veränderten Partner die Sexualität erheblich beeinträchtigen. Und hat ein Paar, etwa aufgrund der Schlafstörungen des Patienten, erst einmal getrennte Schlafzimmer, werden intime Begegnungen noch seltener.
Sexprobleme: Nicht nur eine reine Männersache
Natürlich betrifft Parkinson immer alle Beteiligten einer Partnerschaft – aber eben doch unterschiedlich stark. So zeigt die Erfahrung, dass Paare, in denen die Frau erkrankt ist, eher seltener über sexuelle Probleme berichten als solche, in denen der Mann erkrankt ist. Wobei im ersten Fall beide Partner etwa gleich häufig an Störungen der Erregungs- und/oder der Orgasmusphase leiden, und im zweiten Fall die gesunden Frauen eher über abnehmendes Verlangen und Störungen der Erregungsphase klagen als ihre erkrankten Männer. Allen Fällen gemeinsam ist, dass dauerhafte Störungen der Sexualität zu chronischen Selbstzweifeln und sogar zu Depressionen führen können.
Achtung – auch die Medikation mischt mit!
Sexuelle Störungen müssen aber nicht immer psychische oder körperliche Ursachen haben – auch die Medikation spielt eine Rolle. So ist bekannt, dass L-Dopa sowie gewisse Dopaminagonisten das sexuelle Verlangen, insbesondere bei Männern, steigern können – wobei die sexuelle Funktion meist eingeschränkt bleibt. Die eher harmlosen Folgen dieser sogenannten Hypersexualität sind sexuelle Fantasien, Tagträume und häufige Selbstbefriedigung. Es können aber auch schwere Verhaltensstörungen bis hin zu paranoiden Entwicklungen wie Eifersuchtswahn oder eine Neigung zum Exhibitionismus ausgelöst werden. Zudem kann das plötzliche Wiederaufflammen des längst entschlafen geglaubten Triebs die Partner der Betroffenen schlicht überfordern. Solche medikamenteninduzierte Störungen werden übrigens von den Betroffenen kaum angesprochen – weil sich diese davon nur selten beeinträchtigt fühlen. Oft genug sehen es die Angehörigen, scheuen sich aber, das Thema anzusprechen – bis irgendwann ein so bizarres Sexualverhalten an den Tag gelegt wird, dass die Grenzen der Sittlichkeit oder gar des Gesetzes überschritten werden. So verurteilte ein US-Gericht im September 2009 einen 68-jährigen, seit 1997 an Parkinson erkrankten Akademiker wegen sexueller Handlungen mit einem 14-jährigen Knaben zu zehn Jahren Haft. Das sexuelle Fehlverhalten des Betroffenen war der Familie bekannt, doch hatte diese aus Scham geschwiegen. Hätte seine Frau den Neurologen informiert, hätte dieser die Medikation anpassen können – und viel Leid wäre vermieden worden. Natürlich ist dies ein besonders krasses Beispiel. Dennoch macht es deutlich: Sexuelle Probleme müssen angesprochen werden! Sexualprobleme sind nur mit Offenheit zu lösen Schweigen führt zu Ängsten, Missverständnissen und Stress – und damit zu einer noch stärker gestörten Sexualität. Ein Teufelskreis, aus dem nur entkommen kann, wer offen darüber redet – mit dem Neurologen, einem parkinsonerfahrenen Paartherapeuten und natürlich mit seinem Partner. Denn oft genug öffnet ein Gespräch wichtige Türen. Sagen Sie Ihrem Partner, was Sie beim Sex mögen – und was nicht. Brechen Sie die Routine und probieren Sie auch andere Stellungen aus – das kann gerade bei motorischen Störungen viel Positives bewirken. Falls Sie unter Fluktuationen leiden verabreden Sie doch einmal für die Zeit, in der die Beweglichkeit normalerweise am besten ist, ein intimes Stelldichein – und sorgen Sie dabei für romantische Stimmung (Kerzen, schöne Kleidung, Parfum, Musik) und vor allem Ungestörtheit! Fragen Sie bezüglich körperlicher Störungen Ihren Arzt. Denn manche Probleme wie Erektionsstörungen, trockene Scheide oder verzögerte Ejakulation können durch bestimmte Medikamente verstärkt oder erst provoziert werden. Zudem kann Sie Ihr Arzt bezüglich weiterer Hilfsmittel (Viagra, Gleitcreme, Vakuumpumpe, Penisring etc.) beraten. Dabei ist Scheu völlig unangebracht – Sie sind weder die ersten, noch die Einzigen, die es betrifft! Und bedenken Sie vor allem: beim Sex gibt es keine Normen. Erlaubt ist, was beiden gefällt und wodurch beide Befriedigung erfahren. Denn letztlich ist Sex nicht mehr als die schönste Nebensächlichkeit der Welt – und dennoch ist eine gute Sexualität wichtig für die Lebensqualität.
Danke in die Schweiz: Text zur Verfügung gestellt von Dr. Jörg Rothweiler, Parkinson Schweiz